WM-Spiel zum Einheitsjubiläum Nackte Tatsachen auf dem Reinsdorfer Fußballacker
Presse Team, 05.10.2020

WM-Spiel zum Einheitsjubiläum Nackte Tatsachen auf dem Reinsdorfer Fußballacker
Von Annette Schmidt
05.10.20 12:21
Auf dem Fußballplatz des Reinsdorfer SV findet die wohl ungewöhnlichste Einheitsveranstaltung in der Region statt - mit nackten Tatsachen.
Reinsdorf -
Auf dem Fußballplatz des Reinsdorfer SV im Wittenberger Ortsteil Reinsdorf fand am Sonnabendnachmittag fraglos die ungewöhnlichste Einheitsveranstaltung statt. Es sollte zu einer Neuauflage des legendären WM-Spiels BRD gegen DDR kommen. Soweit klingt das vielleicht noch nicht außergewöhnlich, was das Spiel bemerkenswert machte, war die Tatsache, dass alle Spieler bis auf Schuhe und Stutzen nackt aufspielten.
Frühere Aktion in Ferropolis
Urheber der Veranstaltung war der Aktionskünstler und Filmemacher Gerrit Starczewski. Der 34-jährige Künstler hatte in Sachsen-Anhalt bereits vor zehn Jahren mit Nacktaktionen wie „Naked Heard“ im nahen Ferropolis auf sich aufmerksam gemacht, um zu verdeutlichen, dass weder ein Sixpack noch 90-60-90 wirklich abendfüllend sind, noch Lebensglück sichern können.
Bereits 2015 vereinte der leidenschaftliche Fußballfan erstmals seine beiden Herzensthemen, Bodyshaming (also Beleidigung von Menschen wegen Äußerlichkeiten) und die Kommerzkritik des Fußballbetriebes im ersten „Naked-Fußballspiel“, welches in Herne stattfand. „Es macht mich wütend, wenn Millionen schwere Vereine jammern, dass sie nicht so teure Spieler einkaufen können wie sonst, während die kleinen Vereine tatsächlich ums Überleben kämpfen“, erklärte der Künstler, der in der Pandemiekrise auf eine Solidaritätsdebatte gehofft hatte.
Einmarsch: Das Spiel der „Nacktionalmannschaft“ hatte keine Zuschauer.
Foto:
Klitzsch
„Ich habe den Anspruch, mich mit jeder Aktion zu toppen, was lag im 30. Einheitsjahr näher als ein Remake des WM-Spieles von 1974“, erläuterte Starczewski. Zur Erinnerung sei angemerkt, dass die kleine DDR in beiden Aufeinandertreffen (Olympia 1972) jeweils als Sieger hervorgegangen war.
„Wir stehen hinter der Message, auch wir sind ein kleiner Verein, bei dem keine Gelder fließen, sondern für uns geht es nur um den Fußball“, erläuterte Philipp Giersch, Vereinspräsident vom SV Reinsdorf, wie es zum Spiel im 880-Einwohner-Ort Reinsdorf kam. Er hatte den Aufruf auf Instagram gesehen und spontan den Vereinsplatz für das Spiel angeboten.
Nach Absprachen mit der Stadt war klar, dass es keine Zuschauer geben würde. Trotz vielen Zuredens wollte keiner der Reinsdorfer Kicker für die DDR-Auswahl auflaufen, der ein Spieler fehlte. „Wir haben morgen ein Derby und Pokal-Spiel, da wollte sich keiner der Jungs noch eine Verletzung zuziehen“, erklärte Giersch. Statt einer der Reinsdorfer Jungs erklärte sich ein „BRD-Spieler“ sofort bereit überzulaufen.
Damit wurde die Einheit vollzogen, denn das Spiel ist immer wichtiger und überwindet Grenzen. Zum Einmarsch ertönte nach 30 Jahren wieder einmal die DDR-Hymne, die Kapitäne übergaben Sternburger (Ost) und Hansabier mit Bananen (West). Es hatte schon etwas Befremdliches an sich, unvermittelt 22 nackten Männern zuzusehen, wie sie sich auf ein Spiel vorbereiteten, aber keine drei Minuten nach dem Anpfiff verbreitete die schönste Nebensache der Welt ihren Zauber und aus den nackten Männern wurden einfach nur Spieler und aus einem Fußball-Laien ein Nationaltrainer wie Martin Claus, der für seinen Freund VfL-Jesus als BRD-Trainer eingesprungen war.
Echte Emotionen
Es wurden Handspiel und Fehlpässe moniert, der Schiri beschimpft, es gab tolle Tore zu sehen - und der berühmte Rapper und Union-Berlin-Fan Finch Asozial und an dem Tag Trainer der DDR-Mannschaft wurde vom Schiedsrichter streng darauf hingewiesen, in seiner Coachingzone zu bleiben.
Echte Emotionen waren zu sehen, als ein Spieler der BRD einen Elfmeter nicht verwandeln konnte und beide Mannschaften mit einem Unentschieden von 2:2 in die Pause gingen.
Als es auf einmal auf den Bänken unruhig wurde, denn zwei Reinsdorfer Spieler konnten einfach nicht mehr zusehen, wie die DDR-Auswahl bei einem praktischen Heimspiel zum ersten Mal auf eine Niederlage zusteuerte. Sie entschieden sich blankzuziehen um mitzuspielen. Die Lokalmatadoren brachten dann auch die Wende und die „DDR“ bleibt mit aktuell 8:6 ungeschlagen.
Zwei Tatsachen machte dieses Spiel ganz deutlich. Erstens: Auf dem Platz machten die kleinen vermeintlichen Makel wie ein Bierbauch, Tätowierungen, lange Haare überhaupt eine Unterscheidung der Spieler erst möglich. Und zweitens: Am Ball sind alle gleich. Es ist gleichgültig, woher du kommst, was du machst oder wie du aussiehst, es zählt nur, was du leistest.
Ein Gedanke, den man vielleicht auch auf Deutschland übertragen kann.
Tor von Sparwasser
Das Länderspiel Deutsche Demokratische Republik gegen die Bundesrepublik Deutschland fand im Rahmen der Vorrunde der Fußball-Weltmeisterschaft am 22. Juni 1974 im Hamburger Volksparkstadion statt. Die Mannschaft der DDR gewann die Partie mit 1:0 durch ein Tor von Jürgen Sparwasser. Es sei das einzige Aufeinandertreffen der deutschen A-Nationalmannschaften gewesen, wobei es zuvor Aufeinandertreffen der ostdeutschen Olympiaauswahl und der westdeutschen Amateur-Nationalmannschaft gegeben hatte. (mz)
Quelle:MZ