Der Rauswurf einer Legende
Presse Team, 05.07.2022

Der Rauswurf einer Legende
FUSSBALL Ralf Jenichen hat seinen Stuhl beim Kreisoberligisten in Oranienbaum geräumt. Abteilungsleiter Udo Pfeifer installiert Nachfolger im Alleingang.
VON ANDREAS BEHLING ORANIENBAUM/MZ - KreisoberligaTrainer Ralf Jenichen hat beim Oranienbaumer SV Hellas 09 seinen Stuhl geräumt. Aus seiner Warte kein freiwilliger Schritt. „Ich bin dazu bewogen worden, mein Amt niederzulegen“, sagte er während eines längeren Gesprächs, in dem er sich ursprünglich zurückhalten und keine Namen nennen wollte. Dann bekannte er aber doch, speziell von Abteilungsleiter Udo Pfeifer „richtig toll enttäuscht“ zu sein. „Ich habe nicht die Rückendeckung erhalten, die ich bräuchte.“ Die Enttäuschung wiegt bei Jenichen so schwer, dass er sich gänzlich aus dem Verein zurückzieht. Die Abmeldung erfolge zum 1. Juli. „Selbst, als ich Trainer in Seegrehna war“, sagt er, „bin ich in Oranienbaum Mitglied geblieben.“ Die Übungsleiterkarriere sofort im Anschluss andernorts fortzusetzen, schloss er aus. Er wolle sich - eine Pause vom Fußball für mindestens ein Jahr ankündigend - eine längere Auszeit gönnen. Zu groß waren die Diskrepanzen, die sich entwickelten, als ihm am Waldhaus mit Kevin Johannes ein aufstrebender CoTrainer zur Seite gestellt wurde. Streit um das Ziel Aufstieg Entgegen der Erwartung von Abteilungsleiter Udo Pfeifer - wie zu erfahren war, installierte er Johannes im Alleingang und ohne vorherige Absprache im Vorstand - funktionierte die Kombination nicht. „Es kam zu Differenzen, welche die Mannschaft mitbekommen hat“, beschrieb Jenichen die Situation. Lag es an unterschiedlichen Vorstellungen, welches Ziel das Team in der zurückliegenden Saison anpeilen sollte? Im Trainingslager vorm Start habe er sich „für eine kontinuierliche Entwicklung“ ausgesprochen. „Ich hielt die Plätze zwei bis vier für realistisch.“ Andere peilten indes gleich den Aufstieg an. Jenichen, ab 1974 aktiver Fußballer und knapp drei Jahrzehnte im Verein, hätte sich dem nicht versperrt. „Welcher Trainer will denn nicht aufsteigen?“ Doch vorrangig ging es ihm darum, die Talente aus dem Nachwuchsbereich zu integrieren. Das ist aus seiner Warte gelungen. Kevin Johannes übernehme „eine Top-Truppe“. Der Mann mit der B-Lizenz könne nun die Früchte jahrelanger Arbeit ernten. Er finde ein „gemachtes Nest“ vor. Er selbst fühle sich „abgesenst“, gibt der 55-Jährige zu, der zum abschließenden Spieltag - die 09-er bezwangen Pretzsch im Schlussspurt 4:3 - eine Verabschiedung auf dem Platz ablehnte. „Dafür hatte ich keinen Nerv.“ Ärgerlich ist für Jenichen, dass eine für ihn positiv ausgegangene Abstimmung im Vorstand auf Betreiben Pfeifers nachträglich korrigiert werden sollte. Einige Mitglieder sollen gebeten worden sein, ihr Votum zu überdenken. Mona Berschmann, in der Abteilung lange Zeit die Verantwortliche für Fördermittel und Eingliederung und wie Schatzmeisterin Annett Jenichen inzwischen aus dem Führungsgremium zurückgetreten, bestätigte das. Die Vorstandssitzung Ende März sei für sie „ein Schock“ gewesen. Sie habe „gar nichts von dem Terz“ geahnt, den es zwischen Kevin Johannes und Ralf Jenichen gab. „Sie verstanden sich wohl nicht“, umriss sie knapp das Verhältnis. Dabei habe sie es „cool“ gefunden, dass Johannes mehr Verantwortung beanspruchte. Dass überhaupt nach der „einsamen Entscheidung“ des Vorstandschefs und in einem Moment, da das Kind in den Brunnen gefallen war, abgestimmt wurde, wer Coach sein sollte, bezeichnet sie im Rückblick als Fehler. „Ich beiße mich in den Hintern, dass es dazu kam. Die Devise hätte sein müssen, alle an einen Tisch zu bitten“, so Berschmann. Noch drei Tage nach dem Votum zu Gunsten Jenichens habe sie unter Magenschmerzen gelitten und nicht geschlafen. Immerhin habe der Erfolg dem älteren Übungsleiter, der das Team zu anspruchsvollem Fußball führte, Recht gegeben. Aber andere im Vorstand - neben Udo Pfeifer erwähnt sie auch Timo Aulich - wollten eben „einen Trainer, der offensichtlich die ihm versprochene Perspektive einforderte“. Die Meinung, die sich der Vorstand unstrittig gebildet hatte, habe beim erwähnten Duo - deren Söhne den Sprung in die „Erste“ schafften, wie anzumerken ist - ganz offenbar keine Akzeptanz gefunden, findet Mona Berschmann. Aufgrund dieser Situation sei es konsequenterweise zu den Rücktritten, die auf der Internet-Seite mithin noch keinen Niederschlag fanden, gekommen. Bei ihr selbst - „Wir gingen nicht als beleidigte Leberwürste.“ - habe zudem eine Rolle gespielt, dass sie sich schämte, wie man mit langjährigen und verdienstvollen Aktiven umging. Abteilungschef Udo Pfeifer, beim ersten Kontakt auf einer Baustelle mit Vermessungen beschäftigt und zunächst abwiegelnd, ist klar, dass so ein Trainerwechsel nicht geheim zu halten ist. Er bestätigte, dass die beiden Protagonisten „nicht auf einer Wellenlänge gesendet“ haben. Mit Kevin Johannes nun auf einen ganz jungen Trainer zu setzen, bringe neuen Esprit, neue Möglichkeiten mit sich, die man nutzen wolle. Ob die Entscheidung die richtige war, wisse man erst zu einem späteren Zeitpunkt. Dass es innerhalb der Abteilungsspitze verschiedene Meinungen zum Wechsel gab, verhehlte Pfeifer nicht. Es würden „persönliche Befindlichkeiten“ mit hineinspielen. Und dass mancher eine Unglückseligkeit verspüre, sich vielleicht enttäuscht oder beleidigt fühle, sei „unstrittig“. Wenn zwei verschiedene Meinungen auf dem Tisch lägen, sei es am Ende so, dass man entweder damit lebe oder dies nicht tue. Chefsuche nach neuem Impuls An der Person Ralf Jenichen („Keiner will ihm was Böses.“) gebe es überhaupt nichts auszusetzen, aber zum jetzigen Zeitpunkt sei „ein neuer Impuls vielleicht nicht schlecht“. Auch für ihn seien es „keine leichten Wochen“ gewesen, so Pfeifer. Dies könne man ihm glauben. Kommentare in Chat-Gruppen, die sich kritisch mit Jenichens Übungseinheiten beschäftigt haben sollen („ScheißTraining“), kenne er nicht. Man sei doch „zu sehr ein Freizeitverein“, als dass man sich nicht mehr auf der Straße grüßen müsste, schlug er einen versöhnlichen Ton an. Gleichwohl sei es inzwischen „definitiv“ das Ziel, die Kreisoberliga zu verlassen. „Hierfür ist das Potenzial vorhanden. Und die Landesklasse ist ein gutes Argument, um Abwerbungen zu vermeiden“, formulierte Udo Pfeifer. Im Übrigen sei der dritte Rang 2021/2022 für die HellasKicker die erfolgreichste Saison „seit dem Abstieg aus der Landesklasse 2011“ gewesen. Sowohl Gert Hermann, der nach sieben Jahren sein Engagement an der Seitenlinie ebenfalls beendete, als auch Ralf Jenichen hätten an diesem Abschneiden - viele Stunden in den Verein und die Mannschaft investierend - einen maßgeblichen Anteil. „Beide haben in dieser Zeit - noch 2015 haben uns ja die Flüchtlinge aus Vockerode am Leben erhalten - aus einem Abstiegskandidaten ein Spitzenteam der Kreisoberliga gemacht“, hielt Pfeifer fest. Der Verein bedanke sich „voller Respekt“ bei dem Duo „für ihre aufopferungsvolle Arbeit und ihren unermüdlichen Einsatz“. Beide seien nun „ein wichtiger Bestandteil“ der 113-jährigen Vereinsgeschichte. Ob freilich insbesondere Jenichen, der ab dem Frühjahr 2022 von Holger Klempert unterstützt wurde und der einer zweiten Abstimmung durch die Ankündigung seines Rückzugs zuvorkam, regelmäßig Zaungast am Waldhaus sein wird, dürfte keine ausgemachte Sache sein.
Quelle:MZ