Gräfenhainichen: Talente weiter gratis abgeben?
Presse Team, 28.07.2015

Talente weiter gratis abgeben?
FUSSBALL Gräfenhainichens Präsidentin Cornelia Kuhnert fordert Entschädigung.
GRÄFENHAINICHEN/MZ - Der VfB Gräfenhainichen ist in puncto Nachwuchs sehr gut aufgestellt. Das weckt Begehrlichkeiten. Sieben der besten Talente haben den Verein verlassen. Präsidentin Cornelia Kuhnert findet das nicht besonders witzig. "Mindestens eine finanzielle Entschädigung sollte hier endlich auf den Weg gebracht werden. Im Moment können wir uns nur als melkende Kuh empfinden", schimpft die Fußballchefin. Manchmal stelle sich schon die Frage, warum ein Verein überhaupt Nachwuchsarbeit mache. Was habe er noch davon? Klar, falle die Antwort zunächst eindeutig aus, die eigene Kaderschmiede soll es sein und Grundlagen für den künftigen Männerbereich schaffen. "Doch oft genug kommt es nicht dazu, denn die besten Talente werden von höherklassigen Vereinen oder der Talente-Liga bzw. DFB-Stützpunkt abgeschöpft", so Kuhnert. Für die talentierten Kicker eröffne sich eine Perspektive mit Chance auf Weiterentwicklung. "Das ist richtig und unterstreicht die gute Arbeit der Trainer und Übungsleiter der abgebenden Vereine. Aber der eigene Verein bleibt dabei zuweilen auf der Strecke", so die Präsidentin. Es gehe in Gräfenhainichen darum, Kindern und Jugendlichen das Fußballspielen weiter zu ermöglichen.
Ohne Moos ist nichts los
"Das funktioniert nur, wenn sich immer wieder aufs neue Trainer, Übungsleiter und Betreuer finden, die diese schöne, aber auch anspruchsvolle und zeitintensive Aufgabe übernehmen. Dafür zolle ich unseren engagierten Trainern und Betreuern hohen Respekt."
Aber auch ein Vorstand müsse bereit sein, sich den damit verbunden Anstrengungen zu stellen und immer wieder die finanziellen, materiellen und strukturellen Voraussetzungen schaffen. "Und das geht nur gemeinsam mit Sponsoren. Denn ohne Moos ist auch hier nichts los." Allein für Miete und Betriebskosten müsse der VfB etwa 15 000 Euro im Jahr aufbringen.
Kuhnert kritisiert auch die Nachwuchsförderung des Landes- und des Kreissportbundes. Nach ihrer Auffassung sei eine "Anpassung an die Realitäten" fällig. "Dazu gehört auch, der Situation Rechnung zu tragen, dass es immer schwerer wird, Trainer mit Lizenz zu zu gewinnen, Nachschulungen abzusichern oder überhaupt eine Lizenz zu erwerben. Im Übrigen wird ein Großteil der lizenzierten Trainer ja in den Stützpunkten und in der Talenteliga gebunden."
Abschöpfen auch bei Übungsleitern
Natürlich sei es für die sportliche Entwicklung besser, ein entsprechendes Potenzial zu haben. "Haben wir aber nicht. Wir sind froh darüber, dass Eltern oder Spieler mit Enthusiasmus diese Aufgabe richtig gut wahrnehmen. Das spielt in der Förderung leider keine oder untergeordnete Rolle. Abgeschöpft wird aber auch von den Übungsleitern, die keinen Trainerschein haben. Die Arbeit kann dann wohl nicht so schlecht sein", so die Präsidentin. Für sie ist Sportförderung "eine soziale und politische Frage von grundsätzlicher gesellschaftlicher Bedeutung".
Es werde viel über die Förderung und Anerkennung des ehrenamtlichen Engagements und die Notwendigkeit des Sporttreibens philosophiert. "Manchmal sind das zu viele Worte, wenige Taten wären wirkungsvoller."
In ihrer Amtszeit als Präsidentin oder davor als Vorstandsmitglied habe sie es noch nie erlebt, dass ein Landespolitiker danach gefragt habe, wie es dem Verein gehe, wo Probleme liegen, welche Verbesserungsvorschläge es gebe. "Es geht auch nicht nur um Geld. Jeder ist zufrieden, wenn es läuft! Und es läuft, weil es immer wieder viele Menschen gibt, die sich der Verantwortung stellen und viel Zeit investieren, sei es hinsichtlich der Mitarbeit in einem Vorstand, seien es die Mitglieder mit ihren Ideen oder Arbeitseinsätzen, die Trainer und Übungsleiter, Betreuer, die Eltern und die privaten Sponsoren. Alle sind unendlich wichtig und unverzichtbar", so die Chefin.
Und natürlich seien die jeweilige Kommune und ihre Räte, die, bevor eine Wertung vorgenommen werde, sich vor Ort immer mal aktuell informieren sollten, statt "vom Gerede und der Vergangenheit" zu leben. "Zu jenen, die immer wieder den Weg auf den Sportplatz finden, gehört Ortsbürgermeisterin Christel Lück (Linke) und der neue Bürgermeister Enrico Schilling (CDU) seit Jahren sowieso." Auch das alte Stadtoberhaupt Harry Rußbült (Linke) - einst selbst Vorstandsmitglied - habe sich ab und an sehen lassen. "Das kommt gut an und bedeutet Wertschätzung der Arbeit, erst recht, wenn aus der Kasse der Kommune kaum etwas zu erwarten ist", schätzt die Frau ein, die selbst mit FDP-Mandat im Stadtrat sitzt, und auch den Mitarbeitern der Verwaltung um Vizebürgermeisterin Petra Helbig, die in Radis sportlich aktiv ist, Dank sagt für "die sich gut entwickelnde Zusammenarbeit" in den vergangenen Jahren.
Nicht nur die schönste Nebensache
Kuhnert verspricht, der VfB werde sich "trotz mancher Hürde" auch zukünftig für den Nachwuchs engagieren. "Es gehört zu den schönsten Bildern einer Stadt, zu sehen, dass an mindestens fünf Tagen in der Woche Nachwuchskicker gemeinsam Spaß haben. Fußball ist offensichtlich nicht nur eine Nebensache, sondern ist ein ganz wichtiger Teil eines gesunden, sozialen und zufriedenen Lebens", so Kuhnert. Der VfB verweist auf ein solides Fundament.
Von den 210 Mitgliedern sind 106 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre. "Mit Blick auf die vergangene Saison können wir ein sehr positives Fazit der Nachwuchsarbeit ziehen", sagt Kuhnert. Alle Mannschaften von den Bambinis bis zur C-Jugend konnten die hervorragenden Tabellenplätze zwei und drei belegen. Die D- und E -Jugend belegten in der Meisterrunde den dritten Platz. Die C-Jugend blieb in der Hinrunde ohne Gegentore, wurde Kreismeister und steigt in die Landesliga auf. Die D-Jugend holte den Kreispokal, aber auch den Hallenkreismeistertitel und siegte bei verschiedenen Hallenturnieren, so beim MEZ-Stockmann-Cup oder bei Turnieren in Oranienbaum. Die F-Jugend wurde Vize- Hallenkreismeister und erkämpfte einen zweiten Tabellenplatz. Die jüngsten Kicker wurden Hallenkreismeister und siegten beim eigenen Bambini-Cup. Auch die G-Jugend belegte Podestplätze.
Neustart für die B-Jugend
"Nur unsere B-Jugend hatte ein schweres Jahr in der Landesliga. Aber mit Zuversicht schauen wir auf den Neustart in der Kreisliga", so Kuhnert. Und es gibt noch einen Wermutstropfen. "Seit zwei Jahren kann keine A-Jugend mehr gebildet werden, aber von den Bambinis bis zur B-Jugend sind wir noch immer gut aufgestellt und das bisher ohne Spielgemeinschaften", so die Präsidentin, "wobei wir wissen, dass das in bestimmten Altersstufen nur eine Frage der Zeit sein wird und letztlich auch nichts dagegen spricht, zusammenzuarbeiten."
In der neuen Saison wird es statt bisher sechs aller Voraussicht nach acht Nachwuchsteams geben - von den Bambinis bis zur B-Jugend. Bei der F- und E-Jugend gibt es zwei Vertretungen. Weitere Kinder oder Jugendliche sind willkommen.
"Was wir aber noch dringend brauchen, sind Trainer und Übungsleiter für die D-Jugend. Wer sich vorstellen kann, beim VfB diese Aufgabe zu übernehmen, der sollte sich melden", so Kuhnert. Der VfB ist zu erreichen per Mail info@vfb-graefenhainichen.de
HISTORIE
Die Nummer eins
Die Männer vom VfB Gräfenhainichen kicken in der Staffel fünf der Fußball-Landesklasse. Sie waren in Zeiten des Landkreises Gräfenhainichen stets die absolute Nummer eins. Zu DDR-Zeiten wurde in der Bezirksliga und nach der Wende in der Verbandsliga gekickt. Unmittelbar nach der Gebietsreform vor 20 Jahren war die einstige BSG Aktivist sogar zeitweise die Nummer eins im Landkreis Wittenberg. Zu den Lokalderbys mit dem FC Grün-Weiß Piesteritz kamen vor Jahrzehnten bis zu 1 000 Zuschauern.
"Im Moment empfinden wir uns als melkende Kuh."
Cornelia Kuhnert
Präsidentin
Quelle:MZ